Die Kunsthalle Lingen befindet sich in einem Teil der Halle IV des ehemaligen Eisenbahnausbesserungswerks der Stadt Lingen (Ems), kurz EAW. Für die Gruppenausstellung »EAW« aus Anlass des 25-jährigen Jubiläums der Kunsthalle Lingen wurden die eingeladenen Künstler*innen gebeten, sich über aktuelle künstlerische Medien einzelnen Themen oder Aspekten zu widmen, die aus der Geschichte, der Umgebung oder auch der Wandlung des Gebäudes ableitbar sind und diese kritisch wie affirmativ zu beleuchten.
Begeben wir uns in den gesonderten zweiten Ausstellungsraum der Kunsthalle, begegnet uns die reflexiv-dokumentarisch angelegte Arbeit der Berliner Künstlerin Ulrike Kuschel, die sich auf die Rezeption von historischen Fotografien und das Schicksal der Zwangsarbeiter bezieht, die zwischen 1942 und 1945 im damals sogenannten Reichsbahnausbesserungswerk ausgebeutet wurden. 1942 wurde am Telgenkamp in Lingen ein Lager errichtet, das in zwei Bereiche unterteilt war: Ukrainer*innen, die im sogenannten Ostarbeiterlager wohnten, wurden aufgrund der nationalsozialistischen Rassenideologie schlechter behandelt als die sogenannten Westarbeiter*innen im benachbarten Teil des Lagers. Spätestens seit den 1990er Jahren setzte in Lingen die Aufarbeitung dieses NS-Kapitels der Lingener Geschichte ein, vermutlich auch angestoßen durch den Brief zweier ehemaliger Zwangsarbeiter aus der Ukraine, die 1991 zu einem Besuch nach Lingen eingeladen wurden. Seitdem wurden wiederholt Fotografien, aufgenommen im Lager Telgenkamp, publiziert – unter anderem im Zusammenhang mit der Aufstellung eines Gedenksteins am ehemaligen Standort des Lagers Telgenkamp, gefertigt von dem verstorbenen Lingener Künstler Friedrich Kunst. In ihrer Arbeit richtet Ulrike Kuschel den Blick auf einige Fotos aus dem Lager Telgenkamp. Sie geben allerdings kaum Aufschluss über den Alltag der Zwangsarbeiter*innen. Publiziert wurden hingegen mehrfach Fotografien des Lagerpersonals – mit unterschiedlichen Bildunterschriften, die Schwierigkeiten im Umgang mit der NS-Geschichte anklingen lassen. Kuschels Kunstwerk setzt die Rezeption dieses Kapitels der Geschichte des Eisenbahnausbesserungswerks in ein neues Licht, das aufgrund einer mehrseitigen Betrachtungsweise auch zu neuen Erkenntnissen führen kann.