3. April 2014

Sankt Walter, 2010

Installation mit Hörstück (8 min)

»Sankt Walter« ist anlässlich einer Ausstellung im SPLACE, einem temporären Ausstellungsraum im Untergeschoss des Berliner Fernsehturms, entstanden. Auf der Kugel des Fernsehturms wird bei 
Sonnenschein ein Lichtreflex in Form eines Kreuzes sichtbar, was in den sechziger Jahren für die Auftraggeber, vor allem für den Staatsratsvorsitzenden der DDR, Walter Ulbricht, ein großes Ärgernis gewesen ist. Der Fernsehturm wurde deshalb von der Bevölkerung scherzhaft – in Anlehnung an die in unmittelbarer Nähe befindliche Marienkirche – »Sankt Walter« genannt. 
In einer neu verfassten Heiligenlegende verschmelzen Sankt Walter von Pontoise, ein französischer Abt, der in der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts lebte, und der Politiker Walter Ulbricht zu einer Person. Eine solche Kompilation von Heiligen war vor allem in der Frühzeit des Christentums ein bisweilen auftretendes Phänomen. Während sich die Besucher die Heiligenlegende, die ich von einer Sprecherin habe einsprechen lassen, auf CD anhören können, liegen auf einem Tisch unter einer Glasscheibe diverse Heiligenbildchen zur Betrachtung aus. Heiligenbildchen von Sankt Walter mit einem Porträt von Walter Ulbricht sind der einzige offensichtliche Hinweis auf den Politiker und können als unlimitierte Edition mitgenommen werden.




Installation im Splace, Berlin, 2010


Abschlusspräsentation »Finale« in der Villa Massimo in Rom, 25.11.2010

























































Ulrike Kuschel: Legende von Sankt Walter

Sankt Walter, ein Christ von großer Frömmigkeit und Demut, stammte aus einem kleinen Ort in Picardia. Seine Eltern waren sehr fromm, der Vater war Schneider und hieß Ernestus Augustus, die Mutter hieß Paulina. Als Walter ein Jüngling geworden war, mied er die Ausgelassenheit seiner Kameraden und studierte, dem Vorbild der Eltern folgend, die Heilige Schrift. Nach einer Zeit der Wanderschaft, die ihn bis in den Norden des Landes führte, legte er das Gelübde ab und trat in die Abtei von Rebais ein. Eines Tages befreite er aus dem Kloster einen Bauern, den man dort eingesperrt hatte, weil er dem Kloster Geld für einen Sack Getreide schuldete. Dazu sagen nun einige erklärend, daß es Walter undenkbar erschienen war, im Hause Gottes zu verbleiben aus anderen Gründen als denen der Liebe.
Einmal soll Walter den heiligen Vladimiro getroffen haben. Dieser legte die Hand auf die Schulter des jungen Mönches und sprach: „Die Lehre Christi ist allmächtig, weil sie wahr ist.“
Von Rebais ging er nach Pontisara, um eine neue Gemeinschaft zu gründen, deren Mönche Walter zum Abt wählten. Aber schon bald drückten Sorgen und Kümmernisse den Vorsteher der Abtei nieder und er begann sich nach einem Leben ohne die Bürde seines Amtes zu sehnen. So kam es, daß er eines Tages sein altes Gewand anlegte und heimlich Pontisara verließ. Als einfacher Mönch gekleidet, bat er in der Abtei von Cluniacum um Aufnahme. Zu jener Zeit war dort Sankt Ugo Abt. Als nun die Mönche von Pontisara seine Flucht bemerkt hatten, beeilten sie sich, Walter wiederzufinden und nach Pontisara zurückzubringen.
Walter kehrte also nach Pontisara zurück. Eine Weile lebte er, weil er noch immer von einem Leben als Eremit träumte, zurückgezogen in einer Höhle unweit des Klosters. Er hatte für Gott alles verlassen und besaß nichts mehr außer einer Fliege. Er hielt sie wie eine Gefährtin in seiner Höhle.
Dann verließ Walter abermals die Abtei. Der Überlieferung nach flüchtete er mit einem Boot von Capra Collum über den See und fand auf einer Insel eine halb verfallene Kapelle vor, die den Heiligen Cosmas und Damian geweiht war, welche er mit seinen eigenen Händen wiederherrichtete. Ein Pilger namens Garin erkannte ihn aber und sein Aufenthalt wurde den Mönchen von Pontisara gemeldet, welche eilfertig herbeikamen, um Walter ein zweites Mal in die Abtei zurückzubringen.
Da beschloss Walter nach Rom zu gehen, um Papst Gregorius den VII. zu bitten, ihn von seinem Amt zu befreien. Anders als Walter jedoch gedacht hatte, gebot ihm der Papst unter Androhung des Kirchenbanns, in die Abtei zurückzukehren und sein Amt in Zukunft nicht mehr zu verlassen. Seit dieser Zeit hat Walter nicht mehr versucht, vor seiner Verantwortung zu fliehen, im Gegenteil nahm er den Kampf gegen die Aufweichung der Regeln und Sitten auf und tadelte lebhaft den König dafür, dass er den Ämterkauf förderte.
Als der Bischof sah, wie standhaft und fromm Walter sich von nun an in seinem Glauben zeigte, schickte er ihn in das gefahrvolle Gebiet jenseits der östlichen Landesgrenzen, in das Reich, aus dem der Eurus bläst. Dorthin waren durch verschiedene Umstände einige Mitbrüder geraten, die wegen ihres Glaubens verfolgt wurden und deshalb geflohen waren. Dies geschah im fünften Jahr der Schreckensherrschaft des aus Brunodunum stammenden Usurpators. Walter blieb sieben Jahre lang in Mosca. Aber auch dort waren seine Brüder nicht sicher. Von neun Brüdern erlitten fünf den Märtyrertod, nur Walter und Wilhelm blieben wie durch ein Wunder von allen Nachstellungen verschont.
Dann brach im sechsten Jahr der Gewaltherrschaft des aus Brunodunum stammenden Usurpators jener verhängnisvolle Krieg aus zwischen dem Reich des Usurpators und der gegen ihn verbündeten Länder und Königreiche. Auf beiden Seiten starben die Menschen zu Zehntausenden. Man sagt, der Heilige ging hin und predigte unter den Soldaten. Er habe viele zum Glauben bekehrt, so daß sie die Waffen hingeworfen hätten und sich künftighin weigerten, für den aus Brunodunum stammenden Feldherrn zu kämpfen.
Einmal, nach dem verhängnisvollen Krieg, suchte eine große Not die Provinz des heiligen Walters heim. Zehnstreifige Käfer waren in einem gewaltigen Schwarm, so groß, daß seine Ausmaße nicht abzusehen waren, über das Meer gekommen und fraßen auf den Feldern die Ernte auf. Walter wies die Mönche an, Brot aus den Speichern der Abtei zu holen und unter den Hungrigen zu verteilen. Dann gebot er den Gläubigen, auf Gott zu vertrauen und zu beten. In der gleichen Nacht vernahm Walter im Traum eine Stimme, die ihm sagte, daß Dämonen die Käfer ins Land geschickt hätten. Wenn aber tausend fromme Jungfrauen und 9999 Kinder auf die Felder gingen, um dort zu beten, so würde die Plage aufhören. Am nächsten Morgen erzählte Walter seinen Brüdern, was ihm die Stimme im Traum gesagt hatte und ließ es bekannt machen. Da strömten die Jungfrauen aus den Dörfern vor der Pforte des Klosters zusammen, und als sich tausend Jungfrauen eingefunden hatten, begab sich der Zug, gefolgt von 9999 Kindern, auf die verwüsteten Felder. Auf ein Zeichen des Heiligen begannen die Jungfrauen und Kinder alsbald ein inniges Gebet. Da zeigte sich plötzlich ein wunderbarer Lichtglanz, es erhob sich ein großes Brausen und in schwarzen Wolken, die bis zum Himmel reichten, stiegen die Käfer auf. Sie hinterließen auf den Feldern hässliche Spuren, jedoch der Zauber der Dämonen war gebrochen.
Ich bin allerdings der Ansicht, daß das was über die Befreiung von der Käferplage berichtet wird, nicht glaubwürdig ist, hätte doch der Heilige vermutlich durch sein eigenes Gebet erhalten können, worum die Jungfrauen baten.
Ein anderes Mal, zum Ende seines Lebens hin, erschien Walter im Traum die Jungfrau Chimea und sagte, er solle nach dem jungfräulichen Öl suchen. Denn dieser Stoff würde die Menschen nähren, kleiden und auch sonst dafür sorgen, daß sie in Wohlstand und Schönheit leben können. Am folgenden Tag ließ Walter seine Vision öffentlich verkünden und suchte fortan unter den Adligen und Fürsten seines Landes Verbündete, um diesen Stoff zu finden. Nach vielen Schwierigkeiten, die der Kastellan des Landes seinen Ideen entgegensetzte, gelang es ihm, einige Companien zu gründen, seine Vision „Olium petrae gibt Brot, Wohlstand und Grazie“ konnte er jedoch nicht verwirklichen.
Walter starb an einem Karfreitag, man denkt, es handelte sich um den 8. April des Jahres 1099, deshalb ist sein Feiertag auf dieses Datum festgesetzt. Es kann aber auch sein, daß er am 23. März 1095 starb.
Sein Leib wurde in der Abteikirche bestattet, wo er zahlreiche Wunder wirkte.