»Wenn der nackte einzelne Mensch Thema einer Plastik ist, dann bestimmt das in dem Werk dargestellte Menschenbild, ob es zu einer nationalsozialistischen Interpretation geeignet ist. Kann die Plastik die 'positiven' Begriffe der nationalsozialistischen Terminologie ausdrücken, dann kann es in die Kulturpolitik eingepasst werden.« (1)
Im Bestand der Bibliotheca Hertziana in Rom befinden sich die Kataloge der Jahresausstellungen in der Villa Massimo von 1939 bis 1943. Beim Durchblättern der Kataloge habe ich mit Erstaunen festgestellt, dass einige der bedeutendsten Bildhauer der DDR zur Zeit des Nationalsozialismus Stipendiaten in Rom gewesen sind, z.B. Fritz Cremer, der Schöpfer des Buchenwald-Denkmals. Obwohl alle in den Katalogen abgebildeten Skulpturen figurativ und traditionell sind, gibt es doch Unterschiede in der künstlerischen Formsprache. Um diese Unterschiede auszuloten, habe ich einige Skulpturen gezeichnet. Dabei zeigte sich für mich mehr oder weniger deutlich, welche Arbeiten die Ästhetik der NS-Kunst verkörpern, und wie es einigen Urhebern gelingt, sich den Dogmen der nationalsozialistischen Kunstauffassung zu verweigern. Während einige Stipendiaten sich in ihren Arbeiten offensichtlich der »Darstellung des schönen, aktiven Menschen (widmen), der im Rahmen der Rassenlehre und des Nationalismus interpretiert werden kann« (2), nehmen die Figuren anderer Künstler gerade keine heldenhaften und symbolischen Posen ein. Es gab anscheinend außer Fritz Cremer, Waldemar Grzimek und Ruthild Hahne, die als ehemalige Gerstel-Schüler (3) die klassizistische Grundhaltung der Berliner Bildhauerschule bewahrt hatten, auch andere Stipendiaten, deren Werk »sich dem Zugriff der nationalsozialistischen Beschreibung entziehen konnte«. (4) (UK)
(2) Ebd. S. 90.
(3) Wilhelm Gerstel lehrte von 1924 bis 1945 an den Vereinigten Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst in Berlin und steht – wie Georg Kolbe, Richard Scheibe und Gerhard Marcks – in der Tradition der Berliner Bildhauerschule aus dem 19. Jahrhundert. Außerdem war er bei der Vergabe des Rom-Preises behilflich.
(4) Hartog, S. 91.